Homo quaerens - Kapitel
1 Einführung in die Theorie
1.1. Was ist der Mensch?
Eine von Immanuel Kant aufgeworfene Frage an die Philosophie
lautet: „Was ist der Mensch?“. Eine Möglichkeit sich
dieser Frage zu nähern, ist die Formulierung einer
Tier/Mensch-Differenz. Die Theorie des Homo Quaerens formuliert die
Differenz über die Antwort auf die Frage: „Was macht
den Unterschied zwischen Mensch und Tier?“. Die Frage lautet
ausdrücklich nicht: „Was ist der Unterschied zwischen Mensch
und Tier?“. Wir sind also auf der Suche nach dem, was den
Unterschied macht und nicht was der Unterschied ist. Die Antwort auf
die zweite Frage zielt in erster Linie auf physische Merkmale. Die
erste Frage hingegen zielt auf die Psyche und konkreter auf die
Kognition. Und genau hier suchen wir die entscheidende Differenz oder
– wie ich es nenne - Kerndifferenz. Im Begriff „Homo
Quaerens“ [Der fragende Mensch] kommt bereits implizit zum
Ausdruck, dass wir den Menschen über sein Fragevermögen von
der Tierwelt abgrenzen wollen. Kurz gefasst lautet die zentrale
Hypothese der Theorie: Mensch ist, wer fragt. Statt Fragevermögen
spreche ich auch von der Fähigkeit zur Frage (abgekürzt
FzF).
Der Homo
Quaerens betrachtet also primär die kognitiven Prozesse,
insbesondere die FzF des Menschen. Ein zentraler Leitgedanke der
Theorie kann auch so formuliert werden: Der Mensch entwickelte sich von
Beginn an vom Geiste her. Die Entwicklung des Menschen wird nach dem
aktuellen Wissensstand auf 7 – 9 Millionen Jahre eingestuft.
„Von Beginn an“ würde bedeuten, dass die FzF bereits
vor 9 Millionen Jahren kognitiv implementiert war. Ist das vorstellbar?
Das ist vorstellbar, denn wir werden sehen, dass die FzF keine Folge
der menschlichen Sprache ist, sondern vielmehr die menschliche Sprache
erst möglich gemacht hat. Dieser Theorie
zufolge ist das kognitive Fragezeichen das herausragende geistige
Merkmal des Menschen im Sinne einer Kerndifferenz. Sie ist Ausgangspunkt für alle uns
bekannten geistig-kognitiven Fähigkeiten wie bspw. Sprache und für alle typisch physischen Merkmale wie der
aufrechte Gang oder die Größe und Form unseres Gehirns.
Die Theorie des Homo Quaerens betrachtet die menschliche Kognition als
zweiwertig bzw. binär codiert. Das (kognitive) Symbol des Menschen
ist das Fragezeichen:
Mensch → ?
Damit eine
Abgrenzung zur Tierwelt gelingt, ist nachzuweisen, dass Tiere die FzF
nicht in sich tragen. Nun liegt es auf der Hand zu sagen, dass Tiere ja
nicht so sprechen wie wir Menschen und deshalb auch keine FzF haben
können bzw. wir überhaupt nicht wissen können, ob Tiere
in ihrer Sprachwelt vielleicht doch Fragen stellen. Das sind
berechtigte Fragen an die Theorie. Doch ich behaupte und werde
hoffentlich für den Leser nachvollziehbar zeigen können, dass
die Kognition der Tiere nicht binär, sondern einwertig bzw. kausal codiert
ist. Tiere tragen dieser Theorie zufolge die FzF nicht in sich. Die
Kognition der Tierwelt wird mit dem Ausrufezeichen symbolisiert:
Tier → !
Wir
reduzieren also die ungeheure Komplexität der Menschwerdung auf
die Differenz Fragen / Nichtfragen. Dieser Unterschied trennt die
Lebewesen unseres Planeten eindeutig voneinander ab und ermöglicht
so eine im wahrsten Sinne des Wortes differenzierte Betrachtung der
Ausgangsfrage: Was ist der Mensch?
1.2.
Die Macht der Frage
Rätsel
haben die Eigenschaft, uns Menschen in den Bann zu ziehen. Wenn wir von
einem Rätsel gepackt sind, sind wir so lange in Unruhe, bis wir
eine Lösung haben. Es kann eine gestellte Aufgabe sein oder der
verloren geglaubte Schlüssel. Die Fernsehmacher sind sich dieser
Tatsache voll bewusst und so sind Quizsendungen und Krimis zu den
Hauptzeiten zu sehen, denn sie erzielen hohe Einschaltquoten. Bei fast
jedem Krimi steht eine Frage bis zum Schluss im Raum: Wer ist der
Mörder? Natürlich gilt das auch für gedruckte Krimis.
Und ehrlich gesagt, das Vorablesen der letzten Seiten nimmt einem die
Spannung und den Spass. Und genau das ist es, was uns fasziniert: Die
Spannung. Diese wird oft ausgelöst durch eine einzige im Raum
stehende unbeantwortete Frage.
Doch Fragen
begleiten uns auch im Alltag: Wie spät ist es? Wann kommst Du nach
Hause? Was soll ich heute essen? Was hat mein Chef bloß an mir
auszusetzen? Hat das Universum Grenzen? Warum hat der vor mir nicht
geblinkt? … Fragen über Fragen, die uns Menschen
ununterbrochen unter Spannung halten. Zu viele Fragen können uns
den Alltag erschweren. Deshalb gibt es Ratgeber, die zur Gelassenheit
aufrufen und Tipps geben, wie Ruhe ins Leben zurück kehren kann.
Aber letztlich können wir Menschen nicht aus der täglichen
Konfrontation mit der Frage heraus treten. Wir schaffen es nicht
einmal, einfach nur still zu sitzen und wirklich nichts zu tun, um uns
zumindest etwas von der Fragerei zu lösen. Und wenn es uns einmal
gelingt, gibt es ja noch die anderen Menschen, die uns in unserer
völligen Entspannung in Kommunikation und somit in Fragen
verwickeln, wie beim Loriotsketch mit dem Titel
„Feierabend“: „Was machst Du da? … Nichts
… Nichts? Wieso nichts? … Ich mache nichts … Gar
nichts? … Nein … Überhaupt nichts? …. Nein,
ich sitze hier … Du sitzt da? … Ja … Aber
irgendwas machst du doch? … Nein … Denkst du irgendwas?
… Nichts Besonderes … Es könnte ja nicht schaden,
wenn du … “ Der Sketch endet mit einem Schrei.
Das, was Loriot
hier so wunderbar in Szene setzt, ist die alltägliche
Konfrontation mit der Frage in der Kommunikation. Sie nimmt uns in
Beschlag, auch wenn wir es eigentlich gar nicht wollen. Das zeigt der
Sketch auf eine humorvolle Art und Weise. Aber auch das Klingeln des
Telefons oder auch eine Werbeanzeige lösen Fragen in uns aus. Die
Frage ist Bedingung der Möglichkeit jeglicher menschlicher
Kommunikation. Das gilt auch, wenn wir Kommunikation im weitesten Sinne
wie z. B. Körpersprache verstehen.
Die
Duplizität unserer menschlichen Kognition bringt es mit sich, dass
das, was vielleicht wie im Sketch ein Fluch ist, eben auch ein Segen
sein kann. Denn die Frage ist auch Auslöser von Ideen,
Einfällen und letztlich natürlich auch Ausgangspunkt für
Forschung und Wissenschaft. Es ist überliefert, dass Isaac Newton
zufällig einen Apfel auf den Boden fallen sah und sich spontan die
scheinbar banal anmutende Frage stellte: Warum fällt der Apfel zu
Boden? Für Newton war diese Frage der Anstoß für seine
Gravitationstheorie.
Alles
ausgelöst durch das kognitive Konstrukt der Frage? Ja, denn das
regelrechte geistige Aufbrechen eines einfachen Vorgangs mittels einer
einzigen Frage beschreibt die enorme Wirkkraft unserer fragenden
Kognition. Eine Frage wirkt wie das Eintauchen eines Katalysators in
ein strukturloses Gefüge. Plötzlich und unvermittelt
erhält des Gefüge eine Struktur. Und Struktur erzeugt
Differenz. Zwangsläufig schließen sich neue Fragen an, die
wiederum neue Differenzen hervorbringen. Die Symmetrie –
verstanden hier als Abwesenheit von Struktur und Differenz – wird
durch die Frage gebrochen. Ich führe für dieses zentrale
kognitive Geschehen den Terminus Symmetriebruch [in ausdrücklicher
Anlehnung an die Verwendung des Begriffes in der modernen Physik] ein.
Ein Symmetriebruch – hervorgerufen durch die Frage - schafft die
Grundlage für Neues. Und das geschieht im Prinzip bei jeder Frage,
ob nun wie bei Newton als „gedachte“ Frage oder in der
Kommunikation des Alltags. Jede noch so unbedeutende Frage – auch
die nach der Uhrzeit – löst Differenz aus und baut Spannung
auf, die mit einer befriedigenden Antwort vorübergehend
gelöst werden kann. Vorübergehend bedeutet, dass sich direkt
neue Fragen anschließen. Die korrekte Antwort auf die Frage nach
der Uhrzeit löst unter Umständen direkt neue Fragen aus:
„Wie schaffe ich es, noch rechtzeitig ins Büro zu
kommen?“. Letztlich deutet sich hier schon an, dass Antworten
prinzipiell flüchtige Ereignisse sind und damit ist auch all das,
was wir als Wahrheit einstufen, flüchtiger Natur.
Anders scheint
es bei Tieren zu sein. Wenn Tiere zur Ruhe finden, dann sieht man ihnen
die Gelassenheit oder vollkommene (kognitive) Symmetrie förmlich
an. Sie leben in einer Welt ohne Fragen. Ihre Kommunikation
beschränkt sich auf einwertige Muster, bspw. in Form von Signalen.
Die kognitiven Prozesse sind auf Erfassung und Verarbeitung von
Kausalzusammenhängen begrenzt. Dies wird auch durch die
Untersuchungen von Michael Tomasello unterstützt [Die
Naturgeschichte des menschlichen Denkens, Seite 33. ff, Michael
Tomasello]. Die Kognition der Tiere kann dieser Theorie zufolge als
vollkommen symmetrisch eingestuft werden. Diese zugegeben harte Analyse
macht es erforderlich direkt darauf hinzuweisen, dass Tiere hier nicht
mit Maschinen gleichgesetzt werden. Erläuterungen dazu in Kapitel
2.3. und Kapitel 2.4..
Die durch Fragen
bzw. durch Kommunikation bedingte stete Unruhe bei uns Menschen ist
quasi eine Vertreibung aus dem Paradies der Symmetrie. Der Soziologe
Niklas Luhmann hat es so formuliert: Wer einmal in Kommunikation
verstrickt ist, kehrt nicht wieder ins Paradies der einfachen Seelen
zurück. In diesem Kontext würde es heißen: Wer einmal
in Fragen oder fragender Kommunikation verstrickt ist, kehrt nicht
wieder ins Paradies der vollkommenen Symmetrie zurück.
Wenn die FzF den
Leitfaden unserer gesamten menschlichen Existenz bildet, dann ist auch
klar, dass alles, was die Frage unterdrückt, im tiefsten
Verständnis des Wortes inhuman ist. Das gilt für Diktaturen
und für dogmatische aufgebaute Denkrichtungen wie sie oft bei
Religionen und Weltanschauungen anzutreffen sind. Und es gilt streng
genommen auch für jeden Befehl. Sobald die Kehrseite der Frage
aufkeimt – also das „angeordnete“ Nichtfragen - sind
wir beim Menschen nicht im Paradies, sondern auf der anderen Seite und
somit in der Hölle angekommen. Die Folge der allgegenwärtigen
Duplizität ist, dass es auch in inhumanen Systemen Personen gibt,
denen das Nichtfragen nutzt und, dass es Menschen gibt, die es sich in
der Hölle bequem machen. Wie das zu verstehen ist, erläutere
ich im Kapitel 3 ausführlich.
1.3.
Eine Idee vom Menschen
Die Theorie des
Homo Quaerens greift den Aspekt der fragenden oder binären
Kognition auf und nimmt diesen als Ausgangspunkt, um die uralte und
ungelöste Frage nach dem Unterschied zwischen Mensch und Tier neu
zu stellen. Ich bin der Überzeugung, dass in diesem Werkzeug und
in seiner Anwendung eine Grundlage für eine philosophische
Anthropologie liegt, aus der sich auf die Frage: „Was macht den
Unterschied zwischen Mensch und Tier?“ überraschende
Erkenntnisse ableiten lassen. Die Theorie des Homo Quaerens hat somit
ein geisteswissenschaftliches Fundament, was sie in dieser Hinsicht von
Grund auf von den zumeist naturwissenschaftlich geprägten
Ansätzen und Theorien der Paläoanthropologie und
Evolutionsforschung unterscheidet. Doch auf einem Fundament entsteht ja
bekanntlich erst das Theoriegebäude, welches angesichts des
komplexen Phänomens Mensch unbedingt eine interdisziplinäre
Herangehensweise erfordert, die dann selbstverständlich
naturwissenschaftliche Instrumente und Werkzeuge mit einschließt.
Die Abkehr
jedoch von den Naturwissenschaften als Ausgangspunkt für den
Untersuchungsgegenstand Menschwerdung wird einigen Lesern schwer
fallen. Die Naturwissenschaft hat als sogenannte exakte Wissenschaft
der Geisteswissenschaft längst in der öffentlichen Beachtung
und auch Anerkennung den Rang abgelaufen. Sie fördert
tagtäglich neue Ergebnisse und Erkenntnisse zu Tage. Sie treibt
damit die für uns allgegenwärtige technische Entwicklung an
und wird dadurch sichtbar. Das Attribut „exakt“ ist
durchaus berechtigt, denn aus der Naturbeobachtung lassen sich
häufig kausale Schlüsse ziehen. Diese werden dann in vielen
Fällen sogar berechenbar und können mathematisch
ausgedrückt werden. Sie erhalten damit den Nimbus des Genauen.
Grundsätzlich
ist m. E. die Naturwissenschaft als Kausalwissenschaft einzustufen.
Denn ihr Untersuchungsgebiet erstreckt sich im wesentlichen auf
eindeutige Ursache-Wirkungszusammenhänge. Hier wird jedoch das
große Defizit der Naturwissenschaft deutlich: Was ist, wenn die
Zusammenhänge nicht monokausal zu beschreiben und zu erklären
sind? Was ist, wenn wir es nicht mit quantitativen, sondern mit
qualitativen Größen zu tun haben? Was ist ein Experiment
wert, wenn andere Einflüsse künstlich ausgeklammert werden?
Was ist, wenn ein System nicht vollständig beschrieben werden kann
und überraschende Reaktionen zeigt? Viele Abläufe in der
Natur sind ja gerade nicht monokausal beschreibbar. Hier scheitert die
Naturwissenschaft mit kausal-logischem Denkmustern beinahe
zwangsläufig. Der Titel Naturwissenschaften suggeriert dann nur
die Fähigkeit, Vorgänge in der Natur abschließend
erklären zu können.
Die
Naturwissenschaft ist zudem in ihrer Denktradition von einer induktiven
Vorgehensweise geprägt. Sie bewegt sich vom Besonderen zum
Allgemeinen. Galileo Galilei brachte es auf den Punkt: In der
Naturwissenschaft geht es um „Messen, Zählen, Wiegen“.
Es wird mittels Naturbeobachtung geforscht, d. h. die Wissenschaftler
versuchen aus der detaillierten Analyse der Beobachtung Erkenntnisse zu
gewinnen und wenn möglich daraus eine umfassende Theorie zu
entwickeln oder an eine vorhandene Theorie anzukoppeln. Die Analyse
erfolgt heutzutage natürlich mit technisch hoch gerüstetem
Instrumentarium. Auch in der Evolutionsforschung (bspw. Michael
Tomasello) werden Ergebnisse von Naturbeobachtungen –
Experimente und Versuchsanordnungen mit Affen - als Basis für
Erkenntnisse zur Evolution des Menschen heran gezogen.
Für die
komplexe Frage der Menschwerdung kann die Naturwissenschaft m. E. auch
eine herausragende Rolle insofern spielen, als dass sie fossile Funde
analysiert. Daraus lassen sich Erkenntnisse ableiten, wie z. B. die
Erkenntnis, dass Lucy - ein berühmter fossiler Fund eines
Frühmenschen – vor ca. 3,18 Millionen Jahren gelebt hat und
aufrecht ging. Aber ein Problem bleibt: Die Interpretation der Befunde.
Und hier ist die Denkrichtung der einzelnen Fraktionen der
Paläoanthropologie oft entscheidend und führt in zahlreichen
Fällen zu völlig unterschiedlichen Einschätzungen und
Ergebnissen der Forschergemeinde. Das gilt grundsätzlich auch
für die Genforschung [Essay: Das Sprachgen Fox-P2]
Eines steht
jedoch fest: Die Paläoanthropologie kann den „Geist“
der Fossilien nicht bzw. im Idealfall nur indirekt - bspw. über
die mitgeführten Werkzeuge - ausgraben. Wenn wir jedoch den Geist
des Menschen sinngemäß ausgraben wollen, dann benötigen
wir die Geisteswissenschaften, insbesondere die Philosophie und die
Systemtheorie.
Die Theorie des
Homo Quaerens ist im Gegensatz nicht induktiv sondern vielmehr deduktiv
angelegt. Ich meine hiermit die Tatsache, dass wir eine
übergeordnete Theorie vor uns haben und diese nach unten brechen.
Wir bewegen uns vom Allgemeinen zum Besonderen. Der Vorteil ist, dass
wir eine in sich geschlossene Theorie mit den Beobachtungen und
Ergebnissen der Paläoanthropologie abgleichen und
überprüfen können. Ein weiterer Punkt ist die Tatsache,
dass wir eine Idee vom Menschen und zwar hier als binär codiertes
Lebewesen haben. [Mit dem Begriff der Idee wird bei philosophisch
interessierten Lesern sogleich Plato´s Ideenlehre aufgerufen. Im
Rahmen der Betrachtungen zur Evolution des Menschen werde ich
näher auf die Bedeutung des platonischen Begriff der Idee für
die Theorie eingehen.] Die im Detail forschende Naturwissenschaft ist
oftmals nicht im Besitz einer Idee vom Menschen. Dies ist ein Ergebnis
der induktiven Vorgehensweise.
1.4.
Der aufrechte Gang als Beispiel
Die Theorie des
HQ ist eine geisteswissenschaftliche Theorie und bewegt sich vom
Allgemeinen zum Besonderen. Sie ist darüber hinaus
interdisziplinär ausgerichtet und benutzt die modernen Werkzeuge
der Systemtheorie. Sie grenzt sich so deutlich von den
naturwissenschaftlichen Theorien der Menschwerdung ab. Ich möchte
anhand des aufrechten Gangs die Unterschiede der Denkarten zwischen
Geistes- und Naturwissenschaften erläutern.
Der aufrechte
Gang ist das erste Merkmal der Stammart der Hominiden, also der
Stammart aus dem letztlich auch wir hervorgegangen sind. Hinweise auf
den aufrechten Gang lassen sich anhand von Skelettanalysen insbesondere
des Foramen magnum – das ist die Verbindung zwischen Schädel
und Rückenmark – nachvollziehen. Bei Zweibeinern ist die
Öffnung weiter vorn und bei Vierbeiner weiter hinten. Anhand der
Lage des Foramen magnum konnte das aufrechte Gehen oder die Bipedie bei
Lucy (fossiler Fund, datiert auf 3,18 Millionen Jahre) nachgewiesen
werden. Es konnten in Lucy´s Epoche des Autralopithecus afarensis
auch Fußabdrücke gesichert werden, die eindeutig von
aufrecht gehenden Hominiden stammen. Sie wurden bei Laetoli in Tansania
entdeckt. Früher datierte Funde lassen den aufrechten Gang nur
vermuten. Dennoch ist mit dem aktuellen Stand der
paläoanthropologischen Forschung anzunehmen, dass das aufrechte
Gehen schon in der Phase weit vor Lucy stattgefunden hat.
Der aufrechte
Gang ist als definierendes Merkmal der frühen Hominiden seit
Jahrzehnten anerkannt. Nun ist es nach Maßgabe einer
naturwissenschaftlichen Herangehensweise erforderlich, eine
Ursache-Wirkungs-Beziehung herzustellen. Die fossilen Funde weisen nur
auf die Bipedie hin, aber sie bieten keine Erklärung dafür.
Die Forscher bemühen nun oft die Evolutionstheorie für
kausal-logische Lösungsmuster, die auf eine Wechselbeziehung
zwischen System und Umwelt abzielen. Hier heißt es dann bspw.
wörtlich: „Der aufrechte Gang, welcher als Reaktion auf
Umweltveränderungen unternommen wurde.“ [Einleitung von Ian
Tattersall, Der lange Weg zum Menschen, Spektrum Sachbuch, 2007]. Ein
Ergebnis der Annahme einer reaktiven Umweltanpassung ist bspw. die
sogenannte Savannenübersichtshypothese. Hiernach liegt der Grund
des aufrechten Ganges in dem Vorteil, dass feindlich gesinnte Tiere
schon aus der Ferne, wenn man sich auf seine Beine stellt, erkannt
werden und entsprechende Fluchtwege schnell wahrgenommen werden
können. Nach weiteren Funden war klar, dass die ersten Hominiden
auf Bäumen gelebt haben. Die Savannenübersichtstheorie gilt
seitdem als widerlegt. Nun wird z. B. propagiert, dass es - aus Zwecken
der Nahrungssammlung von unteren Ästen - senkrecht sich
herabhängende Primaten gab, die dann die senkrechte Haltung,
diesmal um 180 Grad gedreht, auf dem Boden beibehielten, um der
geologischen Veränderung vom Regenwald hin zur Graslandschaft
besser gerecht zu werden. Das sind nur einige Beispiele von vielen
naturwissenschaftlich geprägten Hypothesen zum aufrechten Gang.
M. E. ist es
sehr kritisch zu sehen, wenn die Evolutionstheorie auf strenge
Kausalitäten zwischen Umwelt und System reduziert wird. Kausale
Anpassungen über die künstliche oder natürliche
Zuchtwahl beschreiben in der Regel morphologische Veränderungen,
also Veränderungen körperlicher Merkmale, wie zum Beispiel
die Vergrößerung bspw. des Euters bei Kühen zur
Optimierung der Milchproduktion (künstliche Zuchtwahl) oder die
Form der Schnäbel der Darwinfinken (natürliche Zuchtwahl) auf
den Galapagos-Inseln. Die natürliche Zuchtwahl erfolgt über
kleinste zufällige Anpassungsschritte, die im Stillen via
Vererbung weitergereicht werden und zwar ohne jegliche Möglichkeit
der bewussten Einflussnahme der betroffenen Art. Der Passus
„Reaktion auf Umweltveränderungen“ suggeriert die
Möglichkeit der betroffenen Arten in das Geschehen der Evolution
involviert zu sein. Der Begriff „Reaktion“ zeugt m. E.
jedoch von einem falschen Grundverständnis, denn keines der
Evolution unterliegenden Wesen kann auf Umweltveränderungen mit
Merkmalsveränderungen „reagieren“. Evolution erfolgt
ohne Ziele und baut auf Zufälligkeiten. Es gibt Forscher wie bspw.
Michael Tomasello [Die Ursprünge der menschlichen Kommunikation,
Michael Tomasello] die davon ausgehen, dass sich eine Art wegen der
Umweltveränderungen „gezwungenermaßen“ anpassen
musste. Doch die Idee einer direkten Kausalität – die auch
noch willentlich beeinflusst ist - ist m. E. eine schlichtweg falsche
Interpretation evolutiver Abläufe. Aber auch die Umwelt
„zwingt“ keine Art dazu, sich irgendwie
„zielgerecht“ anzupassen. Naturwissenschaftliche
Erklärungen zum aufrechten Gang – und anderer selektiver
Anpassungen - basieren oftmals auf die eben skizzierten
kausal-logischen Schlüsse und der Vorstellung einer reaktiven,
zielorientierten oder sogar bewussten Einflussnahme. Die
Naturwissenschaft stuft nach wie vor den aufrechten Gang über
Kausalzusammenhänge als rein körperliches Merkmal ein und
folgt damit ihrer Denktradition.
Bei
sorgfältiger Betrachtung der Ergebnisse jedoch gibt es bedenkliche
Kritik: Warum sind nicht Affen in ihrer Artevolution auf die
Zweibeinigkeit umgeschwenkt, wenn es für Hominiden doch irgendwie
vorteilhaft war, gerade in Anbetracht der Tatsache, dass von
geologischen Veränderungen ja alle Lebewesen gleichermaßen
betroffen sind? Und warum wird der aufrechte Gang fachübergreifend
für die Menschwerdung seit vielen Millionen Jahren als so
bedeutend und prägend deklariert, wenn es gleichzeitig als rein
physisches Attribut eingestuft wird? Wie kann der Mensch über ein
körperliches Merkmal zu seinen so enorm entwickelten geistigen
Merkmalen gefunden haben? Das oft angeführte Argument der frei
werdenden Hände zielt erneut auf eine simple Kausallogik und ist
deshalb mit größter Skepsis zu betrachten.
Aber es gibt
auch kritische Stimmen. Eine zentrale Aussage des
Paläoanthropologen Yves Coppens [Lucys Knie, DTV-Verlag, S. 134]
lautet: „Lucys Skelett lieferte übrigens den Beweis
dafür, wie die moderne Fortbewegung die Hominiden erfasst hat: Sie
setzte zuerst in den wesentlichen Körperteilen fest (im
Schädel im Rumpf und im Becken) und hat sich danach erst in den
Gliedmaßen ausgebreitet, vom Kopf herunter zu den
Füßen, und nicht, wie man bis dahin scheinbar logischerweise
angenommen hatte, von den Füßen hinauf zum Kopf.“
Dieses Zitat eines Paläoanthropologen zeichnet noch einmal die
beiden entgegengesetzten Denkansätze der Natur- und
Geisteswissenschaft nach und wirbt für die These, dass der Mensch
sich vom Kopf her entwickelt hat. Das deckt sich mit der
Grundhypothese der Theorie des HQ. Der naturwissenschaftliche
Denkansatz der Entwicklung von den Gliedmaßen zum Kopf wird von
Yves Coppens eindeutig in Frage gestellt. Diese Umkehr im Denken wurde
und wird jedoch vom Gros der Forscher nicht geteilt und auch Ives
Coppens bleibt am Ende dem naturwissenschaftlichen Ansatz treu.
Wie lautet nun
schließlich die Erklärung des Homo Quaerens für das
Phänomen der sehr frühen Bipedie? Diese Theorie begreift den
Menschen als ein sich vom Geiste her entwickelndes Wesen. D. h. der
Geist oder die Kognition war demnach auch Urheber des aufrechten Gangs.
Welche Hinweise gibt es dafür, wird sich jetzt der Leser fragen.
Die Antwort lautet, der Mensch war von Beginn an ein Eroberer. Denn mit
dem binären Code kehrt das Fragezeichen und damit das Staunen ins
Bewusstsein. Das „Erobernwollen“ ist das früheste
– nichtsprachliche – Merkmal des menschlichen Geistes und
hat dieser Theorie zur Folge zur Bipedie geführt. „Was ist
hinter dem Horizont?“, so würde, in Sprache übersetzt,
die erste Form des Zweifels der frühen Hominiden gelautet haben.
Die Geschichte der Spezies Mensch ist bis heute geprägt von
Eroberungen. Während Tiere nur in Ausnahmefällen aus
gewohnten Revieren ausbrechen, ist der Mensch, wegen der durch das
implementierte Fragezeichen verursachten inneren Unruhe, stets von der
Sehnsucht nach dem Unbekannten geprägt. Diese Suche nach und das
Überschreiten von geographischen Grenzen führte dieser
Theorie zufolge zur Bipedie.
Die Bipedie war
die erste co-evolutive Errungenschaft des binären Codes, welche im
Anschluss zwangsläufig körperliche Veränderungen nach
sich zog. Co-evolutiv deswegen, weil die Überschreitung des
Horizonts eine erste Entkopplung aus den Klauen der Evolution
bedeutete. Die Bipedie ist nun nicht unbedingt der Tatsache geschuldet,
dass die Hominiden längere Strecken zurücklegen mussten, um
die Grenzen zu erforschen, als vielmehr der Tatsache, dass der
binäre Code symbolisch ein Aufrichten des Blickes vom Boden zum
Horizont zur Folge hatte. Die keimende staunende Neugier und der
wachsende Aufbruch zum Unbekannten war eine Art „geistiges
Aufrichten“ und fand seinen körperlichen Niederschlag im
Aufrichten des Kopfes und damit in der Veränderung des gesamten
Skelettaufbaus. Das aufrechte Gehen und damit die Eroberung des sich
ständig erweiternden Horizonts ist das erste physisch sichtbare
Ergebnis des implementierten Fragezeichens.
Der von
Naturwissenschaftlern geprägte Begriff „aufrechter
Gang“ zeigt eigentlich schon den auf Körperlichkeit und
Physiologie fokussierten Denksatz. Es schleicht sich sofort das Bild
des „aufrechten Läufers“ ein, mit dem Ergebnis, dass
der Eindruck entsteht, der Mensch hätte sich „von den
Beinen“ her entwickelt. Wir entfernen uns aus den
kausal-logischen Zusammenhängen der Evolution, welche die von
Wanderungen durchsetzte Geschichte der Spezies Mensch als durch
Klimawandel, Ressourcenknappheit oder Überbevölkerung
umweltbedingten Zwang beschreibt. Diese Erklärungsmuster
können genauso gut auch Tierbewegungen zugeordnet werden, welche
bspw. bei Umweltveränderungen Nischen aufsuchen oder sich bei der
Suche nach neuen Revieren ausbreiten. Die Wanderungsbewegungen der
Spezies Mensch überschreitet mit Beginn seiner Existenz neue
Grenzen und wächst überproportional an, bis der Mensch vor
ca. 50.000 Jahren den ganzen Globus einnimmt und zwar völlig
unabhängig von den teilweise extrem widrigen Umweltbedingungen
[Yves Coppens, Lucys Knie, S. 44/45]. Dieses kann nicht über
Umwelt-Systemanpassungen erklärt werden, sondern weist auf eine
tiefergehende artspezifische Verursachung hin.
Wir können
jetzt durchaus von einem „bewussten“ Prozess sprechen. Denn
es ist bereits ein co-evolutiver Prozess, weil der Mensch aus sich
heraus, den bis dato für alle Lebewesen festgelegten Lebensraum
der Reviere durchbrach. Der Mensch hat sich mit Beginn seiner Existenz
geistig entkoppelt. Der aufrechte Gang oder das Aufrichten zum Horizont
ist das erste für uns in der Nachschau sichtbare Signal zum
(geistigen) Aufbruch der Menschheit.
Die Idee des
Menschen als binär codiertes Wesen erklärt das Aufrichten der
frühen Hominiden. Wir erhalten also eine nachvollziehbare Antwort
im Rahmen einer Theorie auf die Frage: Warum hat sich der Mensch
bereits in der Frühphase seiner Existenz aufgerichtet? Letztlich
versteht sich der aufrechte Gang nach dieser Theorie als primär
geistiges Merkmal. Sie hat bereits das menschliche Denken und somit
nicht nur das Skelett verändert, sondern auch das zentrale
Nervensystem und das Gehirn neu beansprucht mit entsprechenden
physischen Anpassungen.
Tabelle 1: Aufrechter Gang versus Aufrichten
Aufrechter Gang nach Naturwissenschaft |
Aufrichtung nach Homo Quaerens |
Evolutive streng-kausale Entwicklung |
Co-evolutive Entwicklung (Entkopplung) |
Rein körperliches Merkmal |
Primär geistiges Merkmal |
Kein Theorierahmen bzw. Evolutionstheorie (induktiv) |
Theorierahmen (deduktiv) |
Wechselnde Erklärungsansätze |
Ein schlüssiger Erklärungsansatz |
0.5. Abkehr vom Affe-Mensch-Übergang
Darstellungen
in der abgebildeten Form suggerieren eine lineare Entwicklung des
Menschen. Es ist längst bekannt, dass die Natur etliche
Variationen des Menschen ins Dasein geworfen hat und – wenn wir
tatsächlich den gesamten Stammbaum der Hominidenfamilie
nachzeichnen könnten – es wohl eine sehr
breitgefächerte baumartige Struktur werden würde, an dem
irgendwo oben der Zweig des Homo sapiens weiter herauswächst.
Diese
Baumstruktur ist eine entscheidende Idee Darwins auf dem Weg zu seiner
Evolutionstheorie. In der Gattung Equus (Pferde) ist die Baumstruktur
sehr gut anhand der fossilen Funde nachvollziehbar. Demnach sind die
heutigen Pferde, Esel und Zebras die 3 verbleibenden Zweige einer vom
Urpferd ausgehenden sich verästelnden Baumstruktur. Interessant in
diesem Zusammenhang ist der Stamm der Baumstruktur, also das Urpferd.
Auch beim Menschen, der ja wie alle anderen Lebewesen ein Teil des
biologischen Lebensprogramms ist, könnte somit ein Urmensch der
Keim für die gesamte Struktur einer Spezies sein.
Die Annahme
eines weit zurück datierten Urmenschen macht allerdings auch den
Affe-Mensch-Übergang überflüssig. Es ist anzunehmen,
dass wir - genau wie Affen - aus einem Primatenstamm hervorgegangen
sind und uns – von Anfang an - völlig getrennt von den
Affenspezies entwickelt haben. Nun ist eine solche Annahme für
viele Ansätze der Menschwerdung nicht haltbar, denn dies
würde sämtliche Missing-Link-Theorien und jegliche Formen von
Hominisation in Frage stellen. Das würde auch alle Versuche einer
„Vermenschlichung“ von Affen von vornherein scheitern
lassen. Die Beobachtung und Erforschung der Verhaltensweisen von Affen
würden keinerlei Rückschlüsse mehr auf den Menschen
zulassen. Der in der Naturwissenschaft häufig benutzt Begriff
„Menschenaffe“ wäre zudem nicht mehr haltbar.
Die Theorie des
Homo quaerens unterstützt hingegen sehr wohl die Idee des
Urmenschen und somit einer in sich geschlossenen Baumstruktur. Ein
Affe-Mensch-Übergang wird nicht benötigt. Ausgangspunkt
für den Urmenschen ist das evolutive Implantat des binären
Codes. Dieser zieht sich vom Stamm bis in alle Zweige fort und ist
bleibendes Kennzeichen aller Hominiden. Es ist sogar anzunehmen, dass
gerade dieses in sich geschlossene System vom Urmenschen zum Homo
Sapiens mehr den Beobachtungen und Gegebenheiten entspricht, da eine
ausdifferenzierte Spezies wie die der Affen zwar durchaus
Anpassungsstufen über Variation, Selektion und Adaption
durchläuft, aber die natürliche Auslese kann innerhalb einer
isolierten Art sicherlich keine kognitiven Grenzen durchbrechen. Wir
hätten auch mit all unseren Versuchen der Vermenschlichung bei
Schimpansen sicher mehr Hinweise auf Möglichkeiten kognitiver
Annäherung bekommen. Bislang gab jedoch es keine wirklichen
Annäherungen. Das alles lässt mehr auf eine geschlossene
Struktur schließen und darauf, dass sich Mensch und Affe von
Anfang an oder zumindest in einer sehr frühen Phase völlig
eigenständig entwickelt haben.
Auch die
Eingruppierung der menschlichen Stammesgeschichte in Ardipithecus
ramidus, Australopithecus afarensis, Homo rudolfensis, Homo habilis,
Homo ergaster, Homo erectus bis hin zu Homo sapiens lässt immer
wieder Übergangstheorien zwischen den Gruppen aufblühen und
suggeriert insgeheim wiederum eine Form der linearen Entwicklung.
Yves Coppens [Lucys Knie, S. 46] hinterfragt diese komplizierte Form
der Eingruppierung folgendermaßen: „Es geht vielleicht noch
einfacher. Manche, zum Beispiel Jean-Jacques Hublin, sehen den Homo
erectus ohnehin nur durch seine Primitivmerkmale gekennzeichnet; und
andere meinen, der Übergang von Homo habilis zum Homo erectus und
noch deutlicher vom Homo erectus zum Homo sapiens sei durch alle
denkbaren Zwischenstufen vor sich gegangen. Das heißt: Wir
müssen uns allmählich fragen, ob wir nicht die gesamte
Geschichte der Gattung Homo als die Geschichte einer einzigen Art sehen
müssen – der Spezies Mensch.“ Die Theorie des Homo
Quaerens fundamentiert eben genau das Ergebnis Yves Coppens´. Sie
betrachtet die Spezies Mensch insgesamt als eine einzige Art mit einer
weit verzweigten, nicht-linearen, baumartigen Stammesgeschichte.
Eine weitere
zwangsläufigen Folge der linearen Eingruppierung und der
Affe-Mensch-Übergangshypothese ist die Tatsache, dass wir die
Fähigkeiten all unserer Vorfahren völlig unterschätzen.
Ich bin sicher, dass Fossilienfunde der Zukunft diesbezüglich noch
viele Überraschungen zeigen werden. Ein junges Beispiel sind die
Wurfspeere der Altsteinzeit in Schöningen. Zur Bedeutung der
Schöninger Speere [Wikipedia, Stichwort „Schöninger
Speere“]: „Die Speere und der Fundplatz Schöningen
haben das Bild der kulturellen und sozialen Entwicklung des frühen
Menschen revolutioniert. So konnte die ehemals weit verbreitete
Forschungsmeinung widerlegt werden, nach welcher der Homo
heidelbergensis (ein naher Verwandter des Homo erectus) und sogar noch
der sehr viel jüngere Neandertaler primitive, sprachlose Wesen
gewesen seien, die sich von Pflanzen und Aas ernährten. Denn die
Speere und ihr Fundzusammenhang zeugen von hohen technologischen
Fähigkeiten und liefern den ersten eindeutigen Beleg für eine
aktive (Großwild-)Jagd. Eine erfolgreiche Jagd auf schnell
fliehende Herdentiere ist ohne ausgefeilte Jagdstrategien, ein
komplexes Sozialgefüge und entwickelte Formen der Kommunikation
nicht denkbar. Schon Homo heidelbergensis verfügte damit
möglicherweise über intellektuelle und kognitive
Fähigkeiten wie das vorausschauende, planende Denken und Handeln,
die zuvor erst dem modernen Menschen (Homo sapiens) zugeschrieben
wurden.“ Die Menschen waren früher als wir es annehmen mit
den typisch menschlichen Fähigkeiten vertraut. Die Theorie des HQ
gibt eine grundlegende theoretische Basis für diese Annahme.
0.6.
Fazit
Ausgehend von
dem Leitgedanken, dass der Mensch sich vom Geiste her entwickelt hat,
nehmen wir bewusst Abstand von kausal-logischen Denktraditionen und
nähern uns dem Phänomen Mensch aus einer
erkenntnisorientierten philosophischen Anthropologie angereichert mit
dem Werkzeugkasten der Systemtheorie. Wir bleiben also mit dem Kopf
sozusagen immer über Wasser und haben selbstverständlich die
Ergebnisse der Paläoanthropologie und der Evolutionsforschung
stets im Blick. Wir können die Theorie des Homo Quaerens an den
Forschungsergebnissen der Paläoanthropologie messen und zugleich
jedweder naturwissenschaftlich geprägter Deutung einer sehr
starken bis ablehnenden jedoch begründeten Kritik aussetzen. Die
Abkehr von kausal-wissenschaftlichen Denktraditionen gleicht einem
Paradigmenwechsel. Wir bewegen uns bildlich gesehen weg vom Körper
hin zum Geist. Das wird besonders deutlich, wenn wir die
unterschiedlichen Erklärungen für den aufrechten Gang
miteinander vergleichen. Die binäre Kognition als Keim des
Menschseins benötigt keinerlei Affe-Mensch-Übergangsformen.
Alle Versuche, kognitiv von Affen auf Menschen zu schließen ist
dieser Theorie zufolge vergebene Mühe. Sie sind schlicht
unbrauchbar.
Mensch
und Affe sind kognitiv artfremde Wesen und das mit den ersten
Hominiden. Die binäre Codierung, also ein winziger Unterschied in
der „Verdrahtung“ des Gehirns erzeugte und erzeugt weiter
den heute sichtbaren großen Unterschied. „Die Forscher
untersuchen dazu die Gene. Indem sie Menschen- und Schimpansengenom
verglichen, konnten sie jene 1,4 % des Erbgutes identifizieren, in
denen sich beide Spezies unterscheiden. In diesen Unterschieden
müssen all jene Eigenschaften begründet liegen, die den
Menschen auszeichnen.“. [Der Spiegel, Ausgabe Nr. 38 aus 9/2015
Seite 109]. Die Übereinstimmung des Genom zu 98,6 % im Vergleich
Mensch und Schimpanse macht deutlich, wie gering der genetische
Unterschied ist. Die an die Systemtheorie angelehnte Chaosforschung
beschreibt Vorgänge dieser Art - wie in komplexen Systemen
kleinste Ursachen größte Wirkungen hervor rufen - als
Schmetterlingseffekt. Wir können also mit Hilfe der Theorie des HQ
unter Einbindung der Systemtheorie dieses völlig
überraschende Forschungsergebnis erklären.
Letztlich ist
also nicht die (absolute oder relative) Größe des Gehirns
entscheidend, sondern die Codierung! Der binäre Code wurde ganz
offenbar auch in kleinen Gehirnen „programmiert“. Ein
aktuelles Beispiel ist der Fund des Homo naledi [Der Spiegel, Ausgabe
Nr. 38 aus 9/2015, Seite 106] „Trotz seines geringen
Hirnvolumens, schien er eine primitive Form der Begräbniskultur
entwickelt zu haben.“. Skelettfunde hoch entwickelter früher
Menschenarten mit „apfelsinengroßen“ Hirnen sind
für die Theorie des HQ deshalb keine Rätsel, sondern
bestätigen vielmehr die Theorie. Auch bei der Hirngröße
zeigt sich somit mitnichten eine lineare Entwicklung von klein nach
groß. Nach den Ausführungen dieses Kapitels wird klar, dass
die binäre Codierung das prägende Merkmal der menschlichen
Spezies ist und sie ist dieser Theorie zufolge eben die Kerndifferenz,
welche den Unterschied zwischen Tier und Mensch von Beginn an
manifestiert.
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