Homo quaerens
Der binäre Code des Menschen

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<<< Kerndifferenz Kritik an M. Tomasello Der binäre Code Gesellschafts-
begriff

Michael Tomasello (Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig) veröffentlicht zum Thema Evolutionäre Anthropologie.

Es sind Titel wie "Die Ursprünge der menschlichen Kommunikation". Die Bücher sind erschienen im Suhrkamp Verlag. Die Theorie basiert kurz gefasst auf der Annahme, dass menschliche Kommunikation und menschliches Denken ihre Wurzeln in der einzigartigen menschlichen Kooperation via geteilter Intentionalität haben. Diese kooperative Lebensweise entstand sozusagen gezwungermaßen durch Umweltveränderungen vor ca. 2 Millionen Jahren und schuf somit das menschliche Denken, welches sich nach Tomasello entscheidend vom Denken der Tierwelt bspw. Schimpansen unterscheidet. Zitat: „Soziale Unterschiede führen zu erkennbar anderem Typus des Denkens“ (1) Während der Mensch einen gemeinsamen Hintergrund entwickelte, richtet sich das Denken der Menschenaffen auf die Erreichung individueller Ziele. Es handelt sich um eine sogenannte Missing-Link-Theorie (Seite 221). D.h. Frühmenschen sind vor der Entwicklung der geteilten Intentionalität kognitiv den Affen gleichzustellen und verwandelten sich bedingt durch Umwelteinflüsse zu Menschen. Die Theorie beschreibt einen fließenden Übergang vom Affen zum Menschen mit der Kooperation als Missing-Link. (2)

Unterstützt wird die "sympathische" Theorie von Jürgen Habermas, der sich in seiner Theorie des kommunikativen Handelns hier wiederfindet. Der soziologische Gegenspieler von Jürgen Habermas hieß Niklas Luhmann (verstorben am 6. November 1998). Es wird sich zeigen, dass die Habermas/Luhmann-Kontroverse genau hier im Abgleich der Theorie von Michael Tomasello mit dem Ansatz des Homo Quaerens wieder aufblüht.

Kritik an der Kooperationstheorie

 1.    Es gibt bereits Kritikansätze bspw. zur geteilten Intentionalität oder auch „Wir-heit“. Sie postuliert eine Art gemeinsame Aufmerksamkeit und eine Form des „rekursiven Gedankenlesens“, die es nach M. Tomasello nur bei Menschen gibt. Eigenartigerweise schreibt er im folgenden (Seite 224), dass es diese Form bei Affen und Kleinkindern nicht gibt. D. h. er grenzt Menschen von Kleinkindern ab. Letztlich sind dann Kinder (noch) keine Menschen? Es ist somit eine a posteriori Hypothese. Kinder werden erst zum Menschen nach kooperativer Sozialisation.

 2.    Die Missing-Link-Theorie ist kritisch zu sehen, da der "Frühmensch" noch kein Mensch war. Aber was ist der Frühmensch dann? Tomasello benutzt oft den Begriff „Menschenaffe“ und muss den Frühmenschen kognitiv mit den uns heute bekannten Affen gleichsetzen. Wenn Kognition der Frühmenschen schon anders geartet war, als die der Menschenaffen, dann wäre besser hier der Hebel zur menschlichen Kognition anzusetzen. Es stellt sich hier auch direkt die Frage, wie der Vorgänger des Homo Heidelbergensis sich zumindest einfachen Werkzeuggebrauch angeeignet oder den aufrechten Gang und das größere Gehirn entwickelt hat. Diese (menschlichen) Errungenschaften sind vor dem Missing-Link zu datieren. Und warum haben nicht Meschenaffen die gleiche Entwicklung genommen? Schimpansen hatten schließlich mehr Zeit für entsprechende Entwicklungen, weil das Erscheinen ihrer Art um Millionen Jahre früher datiert werden kann.

 3.    Die Theorie wird als Sonderweg des Menschen in der Evolution bezeichnet. Die Theorie läuft Gefahr, die Prozesse der Evolution als umweltbedingte Neuorientierungen einer Art zu verstehen. Evolution findet aber im Stillen statt. Es gibt keine Zwänge und kein bewusstes Eingreifen und keine Ziele. Der Zufall spielt die wichtigste Rolle. Tomasello zufolge waren die Frühmenschen gezwungen, etwas Neues anzufangen, um den Umweltveränderungen gerecht zu werden. Das ist m. E. ein falsches Verständnis von Evolution, denn demnach hätten die Frühmenschen ja direkt in die Geschicke der Evolution eingegriffen. Richtig ist vielmehr, dass Umweltveränderungen Anpassungsdrücke bei Arten hervorrufen können. Wer davon profitiert oder darunter leidet, hängt davon ab, wer zufällig den neuen Erfordernissen gerecht wird. Und Evolution bewirkt physische Veränderungen innerhalb von Arten. Bei Tomasello geht es um rein kognitive Anpassungsformen.
 
4.    Nach den Regeln der Kerndifferenz darf es kein Sowohl-Als-Auch geben. Doch nicht nur Menschen kooperieren. Tiere kooperieren auch zum Beispiel bei der gemeinsamen Jagd. Tomasello reduziert jedoch die Kooperation auf eine nur zweipersonale Intentionalität. Sie können sich quasi nur auf einen Partner konzentrieren. Hier stellt sich gleich die Frage wie ein Löwenrudel oder ein Wolfsrudel mit mehrerer Tieren und einer fein abgestimmten Rollenverteilung auf die Jagd geht. Auch die Tatsache, dass es bspw. bei Pinguinen „Kindergärten“ gibt mit gesondert abgestellten Tieren als „Aufpasser“, läßt die Kooperation als nicht nur menschliche Eigenschaft erscheinen.

 5.    Es gibt zusätzlich noch den wichtigen Punkt, dass vor jeder Kooperation immer der Konflikt steht. Bei jedem Rudel sind hierarchische Ordnungen erst möglich durch vorherige in einer Auseinandersetzung ausgefochtene Positionen. Das gilt auch für den modernen Menschen. Es gilt die Regel: Voraussetzung für Teamfähigkeit ist Kritikfähigkeit. Wir können also sagen, Kooperation beruht auf Konflikt. Tomasello bezieht aber Konfliktfähgkeit als Voraussetzung von Kooperation gar nicht in seine Theorie ein.

Was ist nach der Theorie des Homo Quaerens nachvollziehbar? 

 1.    Ab Seite 186 listet Tomasello bisherige Theorien zur Menschwerdung auf. Diese fallen m. E. zurecht nach seiner Prüfung sämtlichst durch. Es gibt bis dato keine Kerndifferenz zwischen Mensch und Tier. Die Theorie des Homo Quaerens ist noch weitestgehend unbekannt. [Tomasello führt die Ahnungslosigkeit der Philosophen wesentlich darauf zurück, dass keine geeigneten Informationen für den Vergleich zur Verfügung standen, weil es erst im 19. Jahrhundert nichtmenschliche Primaten in Europa gab. (Seite 219)]
 2.    Tomasello zieht richtigerweise eine klare kognitive Abgrenzung zwischen den Wesensarten Mensch und Tier. Sein Ergebnis ist, dass das Tier - einschließlich der Affen - kausal und intentional agiert. Es geht um Wenn-Dann-Operationen, die durchaus nach menschlichem Ermessen eine logische Struktur aufweisen. (Seite 220) Die Intention oder der Wille (Schopenhauer) gehört m. E. nur im weitesten Sinne zur Kognition. Denn auch der Wille ist einwertig codiert und entspringt weniger dem bewussten Denken und ist vielmehr eine unbewusste geistige Eigenschaft, die oft an Sinnlichkeit gekoppelt ist. Tiere besitzen selbstverständlich einen Willen. Tomasello weiß nur zu gut, wie hoch motiviert ein Schimpanse im Labor mitarbeitet, wenn eine Banane als Belohnung lockt.

Was steht nicht mit dem Homo Quaerens im Einklang?

Ein ganz entscheidender Gedanke gegen die Kooperationstheorie ist die Tatsache, dass menschliche Kooperation nicht mit der Kooperation von Tieren (auch nicht von Schimpansen oder wie Tomasello gerne schreibt Menschenaffen (übrigens ein irreführender Ausdruck) verglichen werden kann, da hier zwei völlig verschiedene kognitive Welten aufeinander treffen. Die kognitive Welt des Menschen ist durch das Fragezeichen geprägt. Die kognitive Welt der Tiere durch das Ausrufezeichen. Dieser Umstand wird dann auch von Tomasello und anderen Wissenschaftlern beobachtet. In vielen Versuchsanordnungen werden die Verhaltensweisen von Schimpansen bei der Futtersuche (es geht bei Versuchen mit Affen immer um Belohnung mit Bananen, wobei es sich letztlich wieder um Dressur handelt) beobachtet und es werden Schlüsse daraus gezogen, die nach der Theorie des Homo Quaerens nicht nachvollziehbar sind bzw. eine andere schlüssigere Interpretation bietet.

Menschliche Kooperation ist immer geprägt vom Fragezeichen also vom binären Code. Somit ist jede Form der Kooperation ein Kind des binären Codes und zwangsläufig nicht mit Kooperationen von Tieren vergleichbar. Es kommt bei Tomasello immer wieder die Idee hoch, dass der Mensch nur eine Weiterentwicklung in Form eines fließenden evolutiven Übergangs vom Affen eben zum menschlichen Wesen ist. Diese Annahme ist nach der Theorie des Homo Quaerens nicht haltbar. Es ist deshalb auch absurd, über Tierbeobachtung auf menschliche Kognition schließen zu wollen. Und genau das wird getan.

Die Kooperationstheorie ist - wie oben geschrieben - sympathisch, weil die Grundannahme besteht, dass menschliches Denken aus einem Wir-Gefühl entstanden ist. Es wird quasi suggeriert, dass nur das Wir-Gefühl uns noch von den Affen trennt. Doch möchte und muss ich hier meine Bedenken äußern. Menschliche Kooperation basiert immer auf Konflikt.

(1)    Eine Naturgeschichte des menschlichen Denkens, M. Tomasello, 2014, Seite 17
(2)    EndmD, 2014, Seite 208
Archiv II

Weiterführende Texte

Hier sind einige Texte versammelt, die zu ausgewählten Themen vertieft Stellung beziehen.

Die Kritik an M. Tomasello ist sehr hart formuliert. Grundsätzlich ist gerade die Abgrenzung zu einer konsensorientierten Anthropologie eine gute Vorlage, die eigene konfliktorientierte Anthropologie noch präziser darzustellen. Hier wird der alte Streit der Soziologen Luhmann / Habermas erneut deutlich erkennbar.


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